Jean-Pascal Ansermoz
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Der Blog.

Triptychon mit blumen

Ich wartete nur noch auf die kleinen Zeichen des Lebens. Eine Strassenbahn, die an der Ausstellungshalle vorbeifuhr. Der Duft des kalt gewordenen Kaffees, wenn ich ihn nur nahe genug an meine Nase hielt. Der improvisierte Tanz einer aufgescheuchten Taube auf dem Gehsteig. Das Ticken der grossen Uhr an der Wand. Der Mann im langen Mantel, der überhastet eintrat, die Tür schloss und in gebückter Haltung hinausblickte, als erwartete er, verfolgt zu werden. Ich lächelte ihm zu, als er sich mir zuwandte. Er passte so gar nicht zu den üblichen Besuchern dieser Galerie, wirkte verloren und irrte ziellos in der Ausstellung umher, bis in mir der Wunsch laut wurde, ihn anzusprechen. Er betrachtete das Triptychon aus bunten Blumen, als ich mich ihm vorstellte und nach seinen Interessen fragte. Er zögerte zunächst, öffnete sich aber schließlich. Er erklärte, dass er durch einige unglückliche Ereignisse seine Arbeit, seine Familie und sein Zuhause verloren hatte. Er fühlte sich allein und hilflos, hatte plötzlich viel zu viel Zeit übrig, mit der er nicht umzugehen wusste. Ich beschloss, ihn durch die Ausstellung zu führen, erzählte über die Entstehungsphasen einiger Bilder. Mein Gast hörte aufmerksam zu. Seine Körperhaltung entspannte sich, seine Augen zeigten Interesse. Daraufhin fragte ich, ob er sich im Malen versuchen wolle. Der Mann zögerte zunächst, er habe noch nie gemalt. Ich ermutigte ihn. Schliesslich steckt in jedem Menschen ein Künstler, der nur darauf wartet, entfesselt zu werden. Eine kleine Leinwand, Pinsel und Farben später, im kleinen Atelier das normalerweise am Samstagmorgen Kindern zur Verfügung stand, begann der Mann etwas unbeholfen zu malen. Natürlich zeigte er Angst, beurteilt zu werden. Natürlich fürchtete er sich vor sich selbst und vor all den Anteilen, die er sich infolge seiner Lebenserfahrungen nicht mehr zugestand. Aber seine Gesten wurden immer sicherer, die gewählten Farben immer bunter, seine Energie immer fröhlicher. Er vergass den kleinen unbequemen roten Plastikstuhl, auf dem er sitzen musste, den runden blauen Tisch voller Spuren grosser Malstunden kleiner Künstler. Als er ging fragte er mich, wie lange die Ausstellung denn noch zu sehen sei. Er wolle unbedingt nochmals vorbeikommen. Ich sah ihn die Strasse entlanggehen, sein Bild in der einen Hand und immer noch viel Zeit in der anderen. Gesehen habe ich ihn nie wieder. Aber das ist letztendlich auch nicht wichtig.
Jean-Pascal Ansermoz ist Hypnose- und Gesprächstherapeut, Life-Coach und Autor. Durch persönliches Coaching, Kurse und Bewusstseinsarbeit gibt er seinen Kunden die Werkzeuge an die Hand, die sie brauchen, um ein erfüllteres Leben zu führen.
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